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Selbstkultivierung

Selbstkultivierung – es ist ein Wort, das mich elektrisierte, als ich es das erste Mal gehört habe. Es schießt Bilder von einem Garten in mir auf, der durch eine Fülle unterschiedlicher Blumen und Pflanzen sowie deren Anordnung für ständige Abwechslung im Blick sorgt. Er lädt zur Muse ein und ist zugleich eine immerwährende Anregung.

Was ist das Selbst darin?

Ich sehe mich mit meinen Potentialen wie diese vielen unterschiedlichen Pflanzen und Blumen, die sich je nach Jahreszeit entfalten. Dieses Potential sehe ich in jedem Menschen, jeweils einzigartig, individuell verschieden und doch manchmal vertraut, manchmal befremdend. So wie der Samen einer Pflanze die stimmige Umgebung braucht, um zu keimen und heranzureifen, so brauchen wir als Menschen auch ein soziales Umfeld und nähende Beziehungen.
Ein Garten ist kein Biotop. Es ist eine Komposition von natürlichen Entwicklungen und ein sie zusammenstellen zu einem komplexen Ganzen, das Wirkung erzeugt. So sehe ich auch die vielfältigen Fähigkeiten die mir meine Natur, meine Gene mitgegeben haben und die sich im Laufe meines Lebens entwickelten und die ich entwickelte. Denn das ist das Moment der Kultivierung: es ist ein bewusstes Üben und Formen der eigenen Potentiale, die den kultivierten Garten ebenso kennzeichnet, wie einen selbstkultivierten Menschen. Bewusstheit über die eigenen Anlagen gehört hier ebenso dazu, wie eine der sozialen und materiellen Umgebung. Nicht alle Anlagen können zugleich entwickelt werden, es ist ein lebenslanger Reifungsprozess. Manchmal ist es sehr leicht und manchmal braucht es ein sich eigenen Ängsten vor Neuem und Unbekanntem zu stellen, um einen inneren Schatz zu heben und sich und den Mitmenschen so ein angenehmes Gegenüber zu sein.
Die Selbstkultivierung ist für mich kein Selbstzweck, sondern Teil eines sozialen Interagierens. So wie wir uns in einem schönen Garten regenerieren, so tanken wir auch in der Gegenwart von Menschen auf, die bei sich sind und in einer inneren Harmonie – mit sich im Reinen.

Der Begriff der Selbstkultivierung

Der Begriff der Selbstkultivierung – Xiushen – begegnete mir im Kontext der chinesischen Kultur. Er entstammt dem konfuzianischen Zweig der chinesischen Philosophie. Er meint die Selbstbildung mit einem moralischen Akzent. Ziel ist hier die Einordnung in die sozialen Normen umso Teil einer harmonischen Gesellschaft zu sein.

Von mir wird der Begriff Selbstkultivierung anders verstanden:

Die Fähigkeit widerstreitende Impulse wahrnehmen, halten zu können und zugleich handlungsfähig zu sein. Denn diese Fähigkeit zu entwickeln – psychologisch Ambiguitätstoleranz genannt – bildet die Aufgabe der Selbstkultivierung. Das umschließt:

  • erstens die Impulse nach individueller Selbstentfaltung,
  • zweitens die Integration in ein Beziehungsgefüge durch die Anpassung und die Auseinandersetzung mit den Normen des sozialen Umfeldes und
  • drittens die selbstverantwortliche Sorge für den eigenen Körper.

Dieser dritte Aspekt stammt ebenfalls aus der chinesischen Kultur. Es ist die Lebenspflege: Yangsheng. Sie kommt aus dem Daoistischen Zweig der chinesischen Philosophie und bezieht sich auf die Pflege des Körpers als unserer irdischen Heimat – oder wie im Bild des Gartens auf den Boden. Qigong, verwandt mit dem Taiji, ist hier eine Praxis, die auch in unserer Kultur immer mehr Verbreitung findet. Sie ist auch eine wunderbare Weise die Lebenskultivierung zu leben, vergleichbar einem Dünger für den eigenen Garten der Selbstkultivierung.

Wie verbinden sich Selbst und Kultur?

Wir haben nun die Samen der Anlagen, den Boden des Gartens und das soziale Umfeld. Das kann Luft zum Atmen geben und nehmen, die Sonne der Aufmerksamkeit und sozialen Resonanz, die uns Nähren, Verbrennen kann – durch verletzende Kritik – oder auch hinter grauen Wolken verborgen ist – soziale Isolation und Einsamkeit.

Die Kultur entsteht erst durch die Selbst-Bewusste Lenkung: Bewusstsein und Selbstverantwortung sind die Gartenwerkzeuge. Die Verbundenheit mit der eigenen innen Tiefe ist der Gartenplan. Von dieser inneren Verbundenheit aus handeln wir selbstwirksam. Selbstwahrnehmung, Selbstmitgefühlt und ein liebevoll kritischer Blick sind einzelne Fähigkeiten, die entwickelt werden müssen, um den eigenen Garten gedeihen lassen zu können. Nicht jeder Wildwuchs von spontanen emotionalen Äußerungen ist für die Umwelt angenehm. So hat Selbstkultivierung sehr viel damit zu tun die individuellen Anlagen in Emotionen, Gefühlen und Gedanken zu sichten und zu einem harmonischen Miteinander zu komponieren. Und wie bei einem Garten ist das ein immerwährendes Geschehen, jeden Tag neu. Das ist begründet sowohl durch das sich ständige Wandeln und Verändern der eigenen Natur als auch durch das sich ständige verändern der anderen Menschen und deren hineinleben in das Eigene. Der Wind trägt andere Samen hinein, die integriert werden können und so eine neue Vielfalt ermöglichen – oder die als ein Unkraut identifiziert und herausgerissen werden. Doch ist es nicht eine spannende Herausforderung sich mit dem Neuen der anderen Impulse auseinanderzusetzen, zu schauen, wie sich das Einflussnehmen der anderen im eigenen Leben entfaltet?

Innere Stabilität in der Begegnung mit der Welt

Selbstkultivierung und GartenMeine Erfahrung ist: je kultivierter der eigenen Garten ist und je stabiler die eigenen Identität und Persönlichkeit einen Grund hat, eine innerpsychische Stabilität, umso offener sind Menschen sich für andere zu öffnen: sei es in der eigenen Familie, sei es in der eigenen nahen Kultur. Und in unserer Zeit haben wir sehr viel Samen aus fernen Ländern. Sei es, weil wir sie von Reisen mitgebracht haben oder weil Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen und ihre Begabungen, Erfahrungen und Werte mitbringen. Wie integrieren wir diese Anregungen in unseren Garten? Auch dieses Thema umfasst die Selbstkultivierung. Die komplexe Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit unserer Lebenswelt bildet eine Herausforderung zur Selbstkultivierung und sie genießen zu können gelingt durch die Entwicklung und Stärkung der inneren Mitte und zentriert zu bleiben, angesichts der vielen widerstreitenden Kräfte.

Sie finden hier Informationen zu meinem Buch, zu meinen Vorträgen und Seminaren, Rezensionen des Buches, Blogbeiträge … So werden Sie immer wieder neuen Samen für ihre Selbstkultivierung erfreuen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser Seite und mit Ihrer Selbstkultivierung

Barbara Hofmann-Huber